Info-Brief 1 / 2019 Neues im Betreuungsrecht

 

1. Zu den Anforderungen an einen Beschluss über die Fortdauer einer bereits langandauernden Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus

 

  1. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Um das Spannungsverhältnis zwischen dem Freiheitsanspruch des betroffenen Einzelnen und dem Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit auszugleichen, müssen Sicherungsbelange und der Freiheitsanspruch des Untergebrachten als wechselseitiges Korrektiv gesehen und im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden.

(vgl. BVerfG, 08.10.1985, 2 BvR 1150/80, BVerfGE 70, 297 <311>; BVerfG, 16.08.2017, 2 BvR 1280/15)

 

  1. Es ist auf die Gefahr solch rechtswidriger Taten abzustellen, die ihrer Art und ihrem Gewicht nach ausreichen, auch die Anordnung der Maßregel zu tragen. Dabei ist die von dem Untergebrachten ausgehende Gefahr hinreichend zu konkretisieren.

(vgl. BVerfGE 70, 297 <315 f>; BVerfG, 16.08.2017, 2 BvR 1280/15)

 

2. Hier: Die angegriffenen Entscheidungen konkretisieren die vom Beschwerdeführer ausgehende Gefahr künftiger rechtswidriger Taten nicht hinreichend und legen nicht hinreichend dar, dass die von dem Beschwerdeführer ausgehende Gefahr das Gewicht seines Freiheitsanspruchs aufzuwiegen vermag. Zudem befassen sich die Fachgerichte nicht hinreichend mit der Frage, ob dem Sicherungsinteresse der Allgemeinheit nicht auch durch weniger belastende Maßnahmen hätte Rechnung getragen werden können.

BVerfG, Beschluss vom 23. Mai 2018 – 2 BvR 1161/16

 

 

2. Zur Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen bei Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten

 

Lässt der Verfahrensgegenstand die Anordnung einer Betreuung in allen Angelegenheiten als möglich erscheinen, ist die Bestellung eines Verfahrenspflegers für den Betroffenen nach § 276 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 FamFG regelmäßig auch dann erforderlich, wenn in der abschließenden Entscheidung eine Betreuerbestellung unterbleibt (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 11. Dezember 2013 – XII ZB 280/11, BtPrax 2014, 79).

BGH, Beschluss vom 27. Juni 2018 – XII ZB 559/17

 

 

3. Zur Fixierung eines Patienten

 

1.    a) Die Fixierung eines Patienten stellt einen Eingriff in dessen Grundrecht auf Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Art. 104 GG) dar.

 

1.    b) Sowohl bei einer 5-Punkt- als auch bei einer 7-Punkt-Fixierung von nicht nur kurzfristiger Dauer handelt es sich um eine Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 GG, die von einer richterlichen Unterbringungsanordnung nicht gedeckt ist. Von einer kurzfristigen Maßnahme ist in der Regel auszugehen, wenn sie absehbar die Dauer von ungefähr einer halben Stunde unterschreitet.

 

2.    Aus Art. 104 Abs. 2 Satz 4 GG folgt ein Regelungsauftrag, der den Gesetzgeber verpflichtet, den Richtervorbehalt verfahrensrechtlich auszugestalten, um den Besonderheiten der unterschiedlichen Anwendungszusammenhänge gerecht zu werden.

 

3.     Um den Schutz des von einer freiheitsentziehenden Fixierung Betroffenen sicherzustellen, bedarf es eines täglichen richterlichen Bereitschaftsdienstes, der den Zeitraum von 6:00 Uhr bis 21:00 Uhr abdeckt.

 

BVerfG, Urteil vom 24. Juli 2018, 2 BvR 309/15, 2 BvR 502/16

 

 

4. Zum Anwendungsbereich des § 5 Abs. 3 Satz 1 VBVG (Heim) für die Betreuervergütung

 

Maßgebliches Abgrenzungskriterium der Heimunterbringung gegenüber sonstigen Formen des betreuten Wohnens ist das Vorhalten und Zur Verfügung stellen von Verpflegung. Bewohnt der Betroffene innerhalb einer Wohngruppe ein Einzelzimmer mit Verpflichtung zur Selbstversorgung, so ist – auch bei 24-stündiger Präsenz von Mitarbeitern der Einrichtung – der vergütungsrechtliche Heimbegriff nicht einschlägig.

LG Arnsberg, Beschluss vom 6. September 2018 – 5 T 144/18

 

 

5. BGH zur Beratungspflicht von Sozialleistungsträgern

 

Der III. Zivilsenat am Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 2. August 2018 die Anforderungen an die Beratungspflicht eines Sozialhilfeträgers konkretisiert und damit die Rechte von Menschen mit Behinderungen gestärkt.

Im konkreten Fall ging es um einen 1984 geborenen Mann, der bis Juli 2002 eine Förderschule für geistig behinderte Menschen besuchte und anschließend an berufsbildenden Maßnahmen in einer Werkstatt für behinderte Menschen teilnahm. Im Jahr 2004 beantragte die Mutter als gesetzliche Betreuerin beim zuständigen Landratsamt Leistungen der Grundsicherung (SGB 12).

Im Jahr 2011 wurde die gesetzliche Betreuerin vom Landratsamt darauf aufmerksam gemacht, dass ein Anspruch auf Erwerbsunfähigkeitsrente bestehen könnte. Tatsächlich bewilligte die Rentenversicherung ab August 2011 eine Erwerbsunfähigkeitsrente. Aus dem Rentenbescheid ging hervor, dass die Anspruchsvoraussetzungen bereits am 10. November 2004 erfüllt gewesen waren. Dem Landratsamt gegenüber wurde sodann eine Schadensersatzforderung geltend gemacht, und dies in Höhe der Differenz zwischen der im Zeitraum vom 10. November 2004 bis 31. Juli 2011 gewährten Grundsicherung und der Rente, die dem Kläger zugestanden hätte. Denn - so die Begründung - das Landratsamt sei seiner Beratungspflicht aus § 14 SGB 1 nicht nachgekommen. Angesichts des konkreten Sachverhalts hätte ein mit Fragen der Grundsicherung befasster Mitarbeiter des Landratsamtes einen Hinweis auf die Notwendigkeit einer Beratung durch den zuständigen Rentenversicherungsträger geben müssen, urteilte der Bundesgerichtshof und hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py

Quelle: BtPrax Newsletter

 

 

6. Verbraucherinsolvenzen: Schnellere Restschuldbefreiung kommt auch in Deutschland

 

Seit langem wird die Verkürzung der Laufzeit von Verbraucherinsolvenzen gefordert. Nun gibt es eine Einigung auf europäischer Ebene: Auch in Deutschland wird die Restschuldbefreiung in 3 anstatt in 6 Jahren zu erreichen sein.

Das berichtete Alexander Bornemann, Regierungsdirektor im Bundesjustizministerium, auf der 36. Verbraucherinsolvenzveranstaltung der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht und Sanierung im Deutschen Anwaltverein (DAV) in Berlin. Hintergrund ist eine Einigung auf europäischer Ebene.

Die entsprechende gesetzliche Regelung des Europäischen Parlaments wird voraussichtlich im Juni 2019 vorliegen. Anschließend haben die EU-Mitgliedstaaten maximal drei Jahre Zeit, die Richtlinie umzusetzen.

Mehr unter: http://www.soziale-schuldnerberatung-hamburg.de/2019/verbraucherinsolvenzen-schnellere-restschuldbefreiung-kommt/

 

 

 

Info-Brief 2 / 2019

Neues im Betreuungsrecht

 

 

 

1.   Wahlrechtsausschlüsse für Betreute in allen Angelegenheiten und wegen Schuldunfähigkeit untergebrachte Straftäter verfassungswidrig

 

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Die Regelungen der Wahlrechtsausschlüsse für in allen ihren Angelegenheiten Betreute gemäß § 13 Nr. 2 des Bundeswahlgesetzes (BWahlG) und für wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebrachte Straftäter gemäß § 13 Nr. 3 BWahlG sind verfassungswidrig. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit am 21.02.2019 veröffentlichtem Beschluss im Verfahren einer Wahlprüfungsbeschwerde entschieden und festgestellt, dass die von diesen Rege-lungen betroffenen Beschwerdeführer durch ihren Ausschluss von der Wahl zum 18. Deutschen Bundestag in ihren Rechten verletzt sind.

Näheres unter: https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/bvg19-013.html

 


 2.     Zu den Aufgaben des Einrichtungsträgers im Zusammenhang mit der Verwaltung  von Geldern des betreuten Menschen

VG Minden, Beschluss vom 13. März.2019 – 6 L 1550/18

1.    Die Verwaltung der Barbeträge der Bewohner gehört zu den Aufgaben der Einrichtung im Rahmen der sozialen Betreuung.

2.    Ein Betreuer – auch mit dem Aufgabenbereich der Vermögensbetreuung – ist nicht zur tatsächlichen Verwaltung der Barbeträge an Stelle des Heimträgers verpflichtet.

3.    Die Pflicht eines Einrichtungsträgers zur Barbetragsverwaltung bis in Höhe normaler „Taschengeldbeträge“ beschränkt sich auf Verwaltungsmaßnahmen, die üblicherweise im Zusammenhang mit solchen „kleineren“ Beträgen anfallen, also die Entgegennahme von baren und unbaren Einzahlungen zu diesem Zweck, die sichere Verwahrung des eingezahlten Geldes, jederzeit mögliche Auszahlungen an jeden Bewohner aus seinem Barbetragsguthaben und die Führung individueller Kontolisten (Kontosalden), die jedem Bewohner den Überblick über seinen ihm aktuell zur Verfügung stehenden verwalteten Barbetrag ermöglichen.

4.    Darüberhinausgehende speziellere Geldgeschäfte, die üblicherweise von Geldinstituten (Banken, Sparkassen) erledigt werden, gehören nicht zu der einer Heimeinrichtung obliegenden Barbetragsverwaltung und sind nicht Teil der sozialen Betreuung, die von der Einrichtung zu leisten wäre.

5.    Die soziale Betreuung in Gestalt der Barbetragsverwaltung umfasst nicht die Verwahrung und Verwaltung hoher Geldbeträge im vierstelligen oder gar noch höheren Euro-Bereich – insoweit würde es sich um Vermögensverwaltung handeln – und insbesondere auch nicht die Erledigung etwaiger Überweisungsaufträge von Bewohnern.

 

3.   Zum Heimbegriff

 

  1. Lebt der Betroffene aufgrund Mietvertrags in einer Wohngemeinschaft und bezieht von einem gesonderten Anbieter ambulante Pflegeleistungen, so hält er sich damit grundsätzlich noch nicht in einem Heim gemäß § 5 Abs. 3 VBVG auf (Fortführung Senatsbeschluss vom 23. Januar 2008 – XII ZB 176/07, BtPrax 2008, 118).

 

  1. Sind der Vermieter und der vom Gremium der Bewohner beauftragte Pflegedienst personell miteinander verbunden, können aber die Bewohner, wenn auch nur in ihrer Gesamtheit, einen anderen Anbieter wählen, so führt dies ebenfalls noch nicht zur Einstufung als Heim im Sinne von § 5 Abs. 3 VBVG. BGH, Beschluss vom 28. November 2018 – XII ZB 517/17

 

 

4.   Zu den Anforderungen an eine wirksame Patientenverfügung

 

a)    Die erforderliche Konkretisierung einer Patientenverfügung kann sich im Einzelfall bei einer weniger detaillierten Benennung bestimmter ärztlicher Maßnahmen durch die Bezugnahme auf ausreichend spezifizierte Krankheiten oder Behandlungssituationen ergeben. Ob in solchen Fällen eine hinreichend konkrete Patientenverfügung vorliegt, ist dann durch Auslegung der in der Verfügung enthaltenen Erklärungen zu ermitteln (im Anschluss an Senatsbeschluss BGHZ 214, 62 = BtPrax 2017, 120).

 

b)    b) Urkunden über formbedürftige Willenserklärungen sind nach allgemeinen Grundsätzen auszulegen. Außerhalb der Urkunde liegende Umstände dürfen dabei aber nur berücksichtigt werden, wenn der einschlägige rechtsgeschäftliche Wille des Erklärenden in der formgerechten Urkunde einen wenn auch nur unvollkommenen oder andeutungsweisen Ausdruck gefunden hat.

 

c)    Die vom Beschwerdegericht vorgenommene Auslegung einer Patientenverfügung kann vom Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich nur darauf überprüft werden, ob der Auslegungsstoff voll-ständig berücksichtigt worden ist, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, sonstige Erfahrungssätze oder die Denkgesetze verletzt sind oder ob die Auslegung auf Verfahrensfehlern beruht. BGH, Beschluss vom 14. November 2018 – XII ZB 107/18

 

 

5.   BGH zur Genehmigungserfordernis bei einer wirksamen Patientenverfügung zum Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) kommt in seinem Beschluss vom 14.11.2018 zu folgender Entscheidung:

Der Abbruch einer lebenserhaltenden Maßnahme bedarf dann nicht der betreuungsgerichtlichen Genehmigung nach § 1904 Abs. 2 BGB, wenn der Betroffene einen entsprechenden eigenen Willen bereits in einer wirksamen Patientenverfügung (§ 1901 a Abs. 1 BGB) niedergelegt hat und diese auf die konkret eingetretene Lebens- und Behandlungssituation zutrifft.

In diesem Fall ist eine Einwilligung des Betreuers, die dem betreuungsgerichtlichen Genehmigungserfordernis unterfällt, in die Maßnahme nicht erforderlich, da der Betroffene diese Entscheidung selbst in einer alle Beteiligten bindenden Weise getroffen hat.

Dem Betreuer obliegt es in diesem Fall nach § 1901 a Abs. 1 Satz 2 BGB nur noch, dem in der Patientenverfügung niedergelegten Willen des Betroffenen Ausdruck und Geltung zu verschaffen.

Bei Zweifeln an der Bindungswirkung der Patientenverfügung, stellt das angerufene Gericht in solchen Fällen fest, dass eine gerichtliche Genehmigung nicht erforderlich sei (sog. Negativattest).

Zum Beschluss des BGH in der Sache XII ZB 107/18 v. 14.11.2018

 

 

6.   Zur Einlegung eines Rechtsmittels nach wirksamem Widerruf der Vorsorgevollmacht

 

Auch nach einem wirksamen Widerruf der Vorsorgevollmacht durch den Betreuer kann der Bevollmächtigte noch im Namen des Betroffenen, nicht aber im eigenen Namen Rechtsmittel gegen die Betreuerbestellung einlegen (Fortführung des Senatsbeschlusses 28.07.2015 – XII ZB 674/14, BGHZ 206, 321 = BtPrax 2015, 241).BGH, Beschluss vom 12. Dezember 2018 – XII ZB 387/18

 

 

7.   Zur Geeignetheit des Betreuers

 

1. Ein Betreuer ist nur dann geeignet im Sinne des § 1897 Abs. 1 BGB, wenn er – neben der fachlichen Qualifikation – auch in persönlicher Hinsicht zur Führung der Betreuung geeignet ist.

2. Die persönliche Eignung eines Betreuers ist unteilbar und muss sich daher auf alle ihm übertrage-nen Angelegenheiten erstrecken.

BGH, Beschluss vom 20. März 2019 – XII ZB 334/18

 

8.   Zum Vermögenseinsatz bei Eingliederungshilfe in einer Werkstatt für behinderte Menschen

 

Auch wenn ein Betreuter Eingliederungshilfe in einer Werkstatt für behinderte Menschen bezieht, hat er sein Vermögen für die Vergütung seines Betreuers insoweit einzusetzen, als es den allgemeinen Schonbetrag nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII von derzeit 5.000 € übersteigt. Der erhöhte Vermögensfreibetrag nach § 60 a SGB XII von bis zu 25.000 € findet dabei keine Anwendung.

BGH, Beschluss vom 20. März 2019 – XII ZB 290/18

 

 

 

Info-Brief 3 / 2019

Neues im Betreuungsrecht

Informationen zum neuen BTHG

 

 

 

Was ist das Bundesteilhabegesetz?

 

Das neue Bundesteilhabegesetz (BTHG) soll die Lebenslage von Menschen mit Behinderung verbessern. Ziel ist es, mehr Teilhabe und individuelle Selbstbestimmung zu ermöglichen.

 

Das BTHG tritt stufenweise in Kraft. Erste Änderungen wurden bereits 2017 wirksam, die vollständige Umsetzung soll bis 2023 abgeschlossen sein. Was verändert sich durch das BTHG ab 01.01.2020?

 

  1. Die Einführung in das Sozialgesetzbuch IX

 

Das Sozialgesetzbuch (SGB) XII „Sozialhilfe“, regelte bisher die Leistungen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung. Wenn ein Mensch Unterstützungsleistungen der Eingliederungshilfe benötigt, dann erhält er diese vom jeweiligen Träger der Sozialhilfe. Dabei ist bisher egal gewesen, ob es sich um die Kosten für Miete, Essen und Trinken oder die pädagogische Unterstützung gehandelt hat. Durch das BTHG wird die Eingliederungshilfe aus dem SGB XII herausgelöst und in das SGB IX „Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“ aufgenommen. Ab 2020 wird die Unterstützung von Menschen mit Behinderungen nicht mehr an eine bestimmte Wohnform gebunden. Welche Unterstützung eine Person bekommt, hängt ganz von ihrem persönlichen Bedarf ab. Man unterscheidet nicht mehr zwischen ambulanten und stationären Wohnangeboten.

 

So ergibt sich eine Trennung der Hilfearten:

 

  • Die persönliche Unterstützung, die Menschen aufgrund ihrer Behinderung benötigen = Fachleistung (z.B.: therapeutische oder pädagogische Angebote)

 

  • Die existenzsichernden Leistungen für Lebensunterhalt und Kosten der Unterkunft und Heizung.

 

Für Menschen, die in Einrichtungen leben, soll der Träger der Eingliederungshilfe lediglich die Fachleistungen erbringen. Die existenzsichernden Leistungen für Lebensunterhalt und Kosten der Unterkunft werden zukünftig bei den örtlichen Sozialämtern und Jobcentern beantragt und bewilligt. Aus diesem Grund benötigt jeder Betreute ein eigenes Girokonto. Menschen mit Behinderung können zukünftig einzelne Leistungen auswählen.

 

 

 

  1. Die Verbesserung bei der Heranziehung von Vermögen und Einkommen

 

Weiterhin sind Verbesserungen für Menschen mit Behinderung bei der Heranziehung von Vermögen vorgesehen. Was wurde bereits verändert? Bei der Bewilligung von Sozialhilfe haben sich die Vermögensfreigrenzen seit dem 01.04.2017 von 2.600 € auf 5.000 € erhöht. Weiterhin haben sich 2017 für Beschäftigte von Werkstätten für Menschen mit Behinderung Verbesserungen ergeben: geänderte Anrechnung des Werkstattlohns im Rahmen der Grundsicherung, Erhöhung des Arbeitsförderungsgeldes und erweiterte Mitbestimmungsrechte. Durch die Einführung eines Budgets für Arbeit sollen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mehr Möglichkeiten zur Beschäftigung von Menschen mit Behinderung geschaffen werden. Die Reform betrifft auch das Schwerbehindertenrecht, hier gibt es neue Merkzeichen für Taubblinde „TBI“ und eine geänderte Voraussetzung für das Merkzeichen „aG“ (außergewöhnliche Gehbehinderung), um nicht nur orthopädische, sondern auch andere ursächliche Gesundheitsstörungen zu berücksichtigen. 2018 gab es mit der Einführung des SGB IX (Stufe 1) und der vorgezogenen Verbesserung im Bereich der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in der Eingliederungshilfe (SGB XII) weitere Reformen.

 

 

BTHG – Was muss ich tun?

 

Am 01.01.2020 tritt die nächste, bisher weitreichendste Stufe des BTHG in Kraft.

 

Dies hat zur Folge, dass zukünftig existenzsichernde Leistungen von Fachleistungen unterschieden werden. Während die Fachleistungen in der Regel weiterhin vom Träger der überörtlichen Sozialhilfe gezahlt werden, werden die existenzsichernden Leistungen zukünftig von den örtlichen Sozialleistungsträgern gezahlt.

 

Was haben Sie als rechtliche Betreuerin/rechtlicher Betreuer eines Menschen zu veranlassen, der bisher in einer Einrichtung lebt (z.B. einem Wohnheim für Menschen mit Behinderung) und die hierdurch entstehenden Kosten durch die Träger der Sozialhilfe getragen werden?

 

  1. Zunächst muss, (sofern noch nicht vorhanden) ein Girokonto eingerichtet werden. Auf dieses wird zukünftig die Rente (sofern vorhanden) und/oder die Grundsicherung eingehen. Außerdem werden von diesem Girokonto alle Rechnungen bezahlt, die anfallen. Manche Einrichtungsträger prüfen derzeit, ob es möglich ist die sogenannten „Taschengeldkonten“ weiter zu führen, hier liegen aber noch keine abschließenden Ergebnisse vor.

 

  1. Die existenzsichernden Leistungen (in der Regel Grundsicherung) müssen beim örtlichen Träger der Sozialhilfe beantragt werden. Sobald Ihnen ein Miet- bzw. Nutzungsvertrag des Einrichtungsträgers vorliegt, können Sie beim örtlichen Sozialamt Grundsicherungsleistungen gem. SGB XII ab dem 01.01.2020 beantragen. Sollten Mietverträge noch nicht vorliegen, können diese nachgereicht werden. Den Vordruck hierzu können Sie in der Regel auf der Internetseite der zuständigen Stadt-, bzw. Gemeindeverwaltung herunterladen, evtl. wurde Ihnen dieser auch schon zugesandt. Diesem Antrag sind Unterlagen zum Einkommen, sowie Nachweise der letzten 3 Monate über das Vermögen der zu betreuenden Person bei zu fügen. Grundsicherung wird in der Regel für 1 Jahr gewährt, danach muss die Behörde Sie gegebenenfalls dazu auffordern, einen Weiterbewilligungsantrag zu stellen. Tut sie dies nicht, läuft die Leistung weiter. Gibt es einen Schwerbehindertenausweis mit dem Merkzeichen „G“ besteht Anspruch auf einen Mehrbedarf in Höhe von 17 % auf den Regelsatz. Dies gilt es evtl. zu überprüfen.

 

  1. Erhält die zu betreuende Person beispielsweise Rente und Werkstatteinkommen und hat aufgrund der Höhe keinen Anspruch auf Grundsicherung, lohnt ein Antrag auf Wohngeld. Dieser ist bei der örtl. Wohngeldstelle zu stellen.

 

  1. Erhält die zu betreuende Person eine Rente, so ist diese in der Regel an den Sozialhilfeträger abgetreten. Ab 01.01.2020 hat dieser aber keinen Anspruch mehr auf diese Überleitung. Die Rente muss zukünftig auf das Konto der zu betreuenden Person gezahlt werden. Hierfür muss ein „Antrag auf unbare Rentenzahlung“ beim Rententräger gestellt werden. Den Vordruck hierzu finden Sie im Internet im Servicebereich des zuständigen Rententrägers oder er wurde Ihnen ebenfalls bereits zugesandt. (Achtung: Die Bearbeitung dauert jetzt schon bis zu 3 Monate.)

 

 

Dies alles ist zunächst ein ziemlicher Aufwand aber in der Regel ist es ein einmaliger Aufwand. Wenn die Leistungen einmal fließen, sind nur noch Weiterbewilligungsanträge zu stellen, zu denen Sie aufgefordert werden.

 

Wenn Sie sich unsicher sind und das Gefühl haben, nicht mehr weiter zu kommen, nehmen Sie Hilfe in Anspruch. Die Sozialbehörden haben eine Beratungspflicht, bestehen Sie darauf. Viele Träger von betroffenen Einrichtungen bieten Vorträge an oder überlegen jetzt schon, wie sie Sie unterstützen können.

 

 

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Nachfolgend haben wir einige Fragen aufgelistet, die von gesetzlichen Betreuerinnen und Betreuern an das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung in Rheinland-Pfalz gestellt wurden.

 

Herr Achim Rhein vom Landesamt hat die Fragen als Vorstandsmitglied der Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS) beantwortet. Die Antworten sind nicht rechtsverbindlich, sondern nur als Orientierung zu sehen.

 

 

 

 

 

  1. Wer übernimmt die Kontoführungsgebühren oder müssen diese auch vom Barbetrag bezahlt werden? Was ist mit den höheren Kosten bei einem Pfändungsschutzkonto?

 

 

Die Kontoführungsgebühren sind aus dem Regelbedarf zu bestreiten, dies heißt aus den 389 €, die ihren Betreuten ab dem 1. Januar 2020 voraussichtlich zustehen. Bitte beachten Sie dabei, dass ausreichend genügend Mittel dafür von Ihnen vorgesehen werden. Bitte prüfen Sie genau, welchen Anteil sie aus dieser Summe an die Einrichtung für die Nahrungsmittel und andere Kosten des Lebensunterhaltes überweisen.

 

 

  1. Wann sollte ich überhaupt das Konto eröffnen?

 

Ein Konto sollte spätestens zum 1. Januar 2020 eingerichtet sein, jedoch empfehle ich Ihnen rechtzeitig ein solches zu eröffnen, damit es nicht zu Informationsengpässen mit den Leistungsträgern kommt. Die Deutsche Rentenversicherung bittet jetzt schon um Angabe der Kontonummer, sodass es ratsam ist, rechtzeitig ein solches einzurichten. Leider ist es derzeit aus dem Barbetrag zu bestreiten, sollten keine weiteren Einkommen vorhanden sein. Hinsichtlich der Beantragung einer einmaligen Beihilfe für die Übernahme der Kontoführungsgebühren bitte ich Sie, sich gegebenenfalls an das örtliche Sozialamt zu wenden.

 

 

  1. Bekomme ich überhaupt ein Konto für meinen Betreuten, da es sich ja nur um Durchgangsposten handelt, wie z. B. Miete, Dienstleistungen, persönliches Budget usw. (kein Einkommen).

 

Ja, sie bekommen ein Konto für ihren Betreuten. Einzelne Einrichtungen haben Bedenken des Missbrauches und bieten ausdrücklich an, die Verwaltung der Grundsicherungsmittel und des Geldes, das für den persönlichen Bedarf übrigbleibt, weiter zu übernehmen. Diese gewählte oder vorgeschlagene Version entspricht nicht den Vorgaben der UNBRK und dem daraus resultierenden BTHG zur Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechtes des Menschen mit Behinderungen und sollte nicht praktiziert werden. Es gibt die Möglichkeit der Einwilligungen zur Direktzahlung („Abtretungserklärung“ ist eigentlich der falsche Begriff). Das Sozialamt kann sich nach den Wünschen auf Direktzahlung an die Träger der besonderen Wohnformen richten – es darf aber dafür keine Vorgaben machen. Im § 35 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs XII, der zur Hilfe zum Lebensunterhalt Regelungen trifft und über § 43 a auch für die Grundsicherung gilt, sind anerkannte Gründe festgehalten, um Kosten für die Unterkunft auch ohne Antrag des Hilfeempfängers direkt an Vermieter und andere Zahlungsempfänger zu überweisen.

 

Gesetzestext:

Direktzahlungen an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte sollen erfolgen, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.Mietrückstände bestehen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen,

2.Energiekostenrückstände bestehen, die zu einer Unterbrechung der Energieversorgung berechtigen,

3.konkrete Anhaltspunkte für ein krankheits- oder suchtbedingtes Unvermögen der leistungsberechtigten Person bestehen, die Mittel zweckentsprechend zu verwenden, oder

4.konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die im Schuldnerverzeichnis eingetragene leistungsberechtigte Person die Mittel nicht zweckentsprechend verwendet.

Werden die Bedarfe für die Unterkunft und Heizung durch Direktzahlung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gedeckt, hat der Träger der Sozialhilfe die leistungsberechtigte Person darüber schriftlich zu unterrichten.

 

Sollte Ihr Betreuter eine Rente erhalten, so kann die direkt von Ihnen übergeleitet werden. Hierzu müssten sie eigentlich einen Vordruck von dem jetzigen Kostenträger erhalten haben.

 

Nach der Zahlungskontenrichtlinie 2014/92/EU: Art. 17 Abs. 1 lit. d iii) und Erwägungsgrund 44 hat Ihr Betreuter ein Anspruch auf ein sogenanntes Positivkonto. Die Bankverbindung mit dem Girokonto muss dem Sozialleistungs-Träger und allen anderen Leistungsträgern – z.B. dem Rententräger, dem Eingliederungshilfeträger, der Wohngeldstelle – von denen Leistungen in Anspruch genommen werden, mitgeteilt werden.

 

 

  1. Was ist bei Schulden zu beachten? Kann ich den Freibetrag erhöhen lassen bei einem Pfändungsschutzkonto? Was passiert bei unterschiedlichen Geldeingangstagen? Liegt eine Pfändung vor?

 

Der Grundfreibetrag auf dem P-Konto dient als persönlicher Basispfändungsschutz zur Sicherung des Existenzminimums und entspricht dem Pfändungsfreibetrag nach § 850c Abs. 1 i.V.m. § 850c Abs. 2a ZPO. Der aktuelle Grundfreibetrag auf dem P-Konto ist einkommensunabhängig und beträgt pauschal 1.178,59 EUR. Über Guthaben bis zur Höhe des Grundfreibetrages kann man bei einem Pfändungsschutzkonto auch trotz einer Kontopfändung verfügen.  Es besteht die Möglichkeit, auch weitere Freibeträge auf dem P-Konto zu erhalten. Neben dem Grundfreibetrag können auf dem P-Konto maximal fünf weitere Freibeträge eingerichtet werden. Die weiteren Freibeträge richtet die Bank oder Sparkasse im Gegensatz zu dem Grundfreibetrag jedoch nicht automatisch ein, sondern nur wenn man einen Nachweis in Form einer Bescheinigung nach § 850k Abs. 5 ZPO vorlegt. Sie sollten in diesen Fällen eine entsprechende Bescheinigung besorgen und der Bank vorlegen. Die Bescheinigung kann man online beauftragen. Man muss hierfür nur den Freibetrag berechnen und man kann im Anschluss eine entsprechende Bescheinigung beauftragen.

 

Zuständige Rechtsanwälte und Fachanwälte für Insolvenzrecht stellen die Bescheinigung, die man bei der Bank dann nur noch vorlegen muss, aus. Eine Ausnahme gilt nur, wenn das Konto wegen Unterhaltsschulden gepfändet wurde. Dann kann ein niedrigerer Freibetrag, der durch das Gericht festgelegt wird, damit die Unterhaltsschulden bezahlt werden können.

 

 

  1. Wie verhält es sich bei sozialschwachen Betreuten, die von ihren Familien betreut werden und Zugang zum Konto haben (Vergreifen diese sich am Geld?)?

 

Solange kein Einwilligungsvorbehalt vorliegt, ist es in der Tat so, dass ihre Betreuten frei über ihr Geld verfügen können. In diesen Fällen besteht in begründeten Fällen lediglich die Möglichkeit, die oben genannten Direktzahlungen für die Kosten der Unterkunft durchzuführen. Das Risiko besteht dann nur noch für den Anteil der Regelbedarfsstufe 2, also die 389 €. Dieser Betrag dient der Erhaltung des Lebensunterhaltes. Auch in der Vergangenheit konnten sie nicht verhindern, dass Ihr Betreuter sein Taschengeld von rund 115 € schon am Monatsanfang ausgegeben hat.

 

 

  1. Es liegen kaum oder gar keine neuen Miet- und Dienstleistungsverträge vor!

 

In der Tat ist dies der Fall. Ich bitte sich gegebenenfalls mit der Einrichtung in Verbindung zu setzen und darum zu bitten, eine Mietbescheinigung auszustellen, die der Mensch mit Behinderungen oder sie dann beim Träger der Sozialhilfe in Bezug auf die Gewährung von Grundsicherung vorlegen kann. Aufgrund eines bestimmten Verfahrens, welches zwischen den Einrichtungen und den Kostenträgern verabredet ist, kann es derzeit noch zu Verzögerungen kommen, bis Ihnen ein unterschriftsreifer WBVG-Vertrag von der Einrichtung vorgelegt wird.

 

 

  1. Was sind gerechtfertigte Kosten bei den Dienstleistungsverträgen (Reinigung, Verpflegung, Pflege, Begleitung usw.)?

 

Diese Frage kann ich Ihnen nicht pauschal beantworten. Sie muss im Einzelfall geprüft werden. Grundsätzlich befinden wir uns im Bereich des privaten Vertragsrechtes, d. h. der Mensch mit Behinderungen oder sie als sein rechtlicher Vertreter haben im Einzelfall darauf zu achten, welche Kosten ihnen berechnet werden. Hinsichtlich der Kosten für Reinigung, Pflege und Begleitung haben Sie grundsätzlich keine Verhandlungsoption, da die maßgeblichen Vergütungssätze zwischen den Leistungserbringern und den Leistungsträgern verhandelt werden. Sollten Sie hierzu nähere Erläuterungen benötigen würde ich Sie darum bitten, sich mit dem örtlichen Sozialamt in Verbindung zu setzen. Insgesamt ist anzumerken, dass wir in Rheinland-Pfalz in diesem Bereich eine Übergangsregelung bis zum ein 30.12.2022 geschaffen haben, in der das bisherige Recht noch fortgeführt werden kann.

 

 

  1. Muss ich jetzt vorsichthalber für jeden Betreuten einen Einwilligungsvorbehalt einrichten (Betreute gehen zur Bank und holen „Ihr“ Geld ab)?

 

Ich gehe davon aus, dass sie nicht in jedem Fall einen Einwilligungsvorbehalt bekommen werden. Pauschal kann man diese Frage auch hier nicht beantworten. Die Voraussetzungen für diesen Grundrechtseingriff sind eng gefasst. In begründeten Einzelfällen werden sie bestimmt entsprechende Entscheidungen von dem zuständigen Betreuungsgericht erhalten. Nur sie als rechtlicher Betreuer können entscheiden, in welchen Fällen sie dieses grundrechtseingrenzende Rechtsmittel beantragen werden.